Ursachen
Es gibt undenkbar viele mögliche primäre Ursachen
für Querschnittlähmungen. Alles, was ein Gewebe zerstören kann, ist
auch in der Lage das Rückenmark zu zerstören. So kann das Rückenmark
gequetscht, durchstossen, zerschnitten, zerrissen, verdrillt,
infiziert und sogar verstrahlt werden oder sich in einer
Autoimmunattacke selbst verdauen.

Jede Ursache hat physikalische, chemische oder
biologische Grundlagen und unterscheidet sich in ihrer typischen
Form und Ausprägung von den anderen. Allen gemein ist jedoch, dass
auf eine primäre Ursache meist auch eine biologische, sekundäre
Ursache folgt.
Primärschädigung
Je nach Land und Lebensgewohnheit der Bewohner
unterscheiden sich die Auftretenshäufigkeiten bestimmter
Verletzungsarten voneinander. In der Schweiz und den Nachbarstaaten
ist die häufigste Ursache für eine mechanisch verursachte
Querschnittlähmung der Sturz. Sturz vom Pferd, mit dem Motorrad,
beim Skifahren, Sturz von Leitern, Tischen, Hockern und anderen
gefährlich klapprigen Erhöhungen, ja sogar der Sturz aus dem Bett.
Da die Wirbelsäule elastisch ist, reicht meist der Sturz alleine
noch nicht aus. Zu dem Aufprall des Körpers auf das Rückgrat kommt
meist noch ein unglücklicher Aufprallwinkel auf den Boden oder ein
Hindernis, durch den Wirbelbestandteile abbrechen und in den
Spinalkanal verschoben werden, oder die eine Überdrehung des
Rückenmarks erlauben können.
Was geschieht
also mit einem Rückenmark bei einer "typischen" mechanischen
Verletzung? Angenommen der Sturz erfolgt hart auf die Kante eines
etwas erhöhten Gegenstandes. Je nach Wucht des Aufpralls kann es
dabei zum Trümmerbruch des Wirbeldaches, bzw. des Wirbelkörpers
kommen. In sich verschiebende Knochenfragmente und auch eine
verlagerte Bandscheibe, bzw. deren Reste, können dabei die
Spinalganglien der betreffenden Stelle ebenso quetschen wie auch das
Rückenmark im Spinalkanal.

Die Rückenmarksflüssigkeit wirkt zwar als Puffer,
wird aber bei entsprechendem Druck nach oben, unten und in die
Spinalganglien hineingequetscht. Die harte Spinalhaut wird dicht auf
die gut durchblutete Arachnoidea und Pia mater gedrückt, wobei
einige Gefässe zerreissen und in das Rückenmark bluten können und
andere völlig blockiert sind und ihren Versorgungsbereich nicht mehr
mit Sauerstoff versorgen können.
Durch das Zerreissen der Axone und eine
Unterversorgung mit Sauerstoff beginnen die Nervenzellen und ihre
Fortsatzstümpfe zu schwellen, bis an der verletzten Stelle das
gesamte Rückenmark angeschwollen ist. Das empfindliche Rückenmark,
in einer Knochenzange und mit sich ausdehnenden zahlreichen kleinen
Blutungen wird vom Körpergewicht weiter gequetscht. Bei sofortiger
Entlastung des Rückenmarks könnten die Mikroblutungen und die
Sauerstoffunterversorgung gestoppt werden. Damit könnte eine solche
Quetschung sogar ohne bleibende Folgen verheilen.

Meist kommt die Hilfe jedoch erst Minuten später,
wenn die ersten Nervenzellen geschädigt oder abgestorben sind und
sich die Blutungen einen Weg ins Nervengewebe gesucht haben.
Ausserdem müssen die meisten Unfallopfer erst geborgen werden. Je
nachdem, wer diese Bergung vornimmt und in welcher Situation sie
vorgenommen werden muss, kann es zu zusätzlichen Scherkräften und
Verdrehungen durch Verlagerung des Körpers mit unfixiertem Rückgrat
kommen. Dies lässt sich nicht immer vermeiden, denn meist erfolgt
eine solche Verlagerung dann, wenn das Opfer bewusstlos ist und sich
nicht über seinen Zustand äussern kann. Ist eine Verdrehung des
Rückenmarks erst einmal hinzu gekommen, werden ganze
Nervenzellverbände verdrillt, was unbedingt den Untergang von Zellen
und Fasern zur Folge hat.
Der spinale Schock
Die ersten Tage und Wochen nach einer
Rückenmarksverletzung werden immer wieder als äusserst erschreckend
bezeichnet. Das Opfer befindet sich während dieser Zeit im spinalen
Schockzustand. Bei Verletzungen oberhalb des 5. Brustwirbels kann
sich der spinale Schock zum lebensbedrohenden neurogenen Schock
ausweiten. Beim neurogenen Schock versagen Herz- und
Kreislaufregulation und es kann zum Atemstillstand kommen, obwohl
die Zentren für diese Funktionen oft viel weiter oberhalb der
geschädigten Stelle, in der Medulla Oblongata, zu suchen sind. Aber
selbst wenn er sich nicht zum neurogenen Schock ausweitet, ist der
spinale Schock ein Zustand grösster Hilflosigkeit. Genau ab Höhe der
Verletzung und unabhängig davon, wie gravierend und bleibend die
Schädigung tatsächlich ist, erfolgt ein sofortiger Verlust jeder
empfindsamen und motorischen Kontrolle des Körpers.
Diese schlaffe Lähmung kann bis zu mehreren Wochen
andauern und löst sich sehr langsam. Erst nach und nach wird das
wirkliche Ausmass der Rückenmarksverletzung sichtbar. Daher ist es
auch für die Neurologen nicht leicht, direkt nach einer Verletzung
eine konkrete und verbindliche Aussage zum Grad der anstehenden
Behinderung zu stellen.

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